Mittwoch, 2. März 2011

Die Kindheit am Bauzaun

War gerade auf einer gegoogelten Zeitreise in meine Vergangenheit, als ich über die Bilder der 1989 gestoppten WAA Wackersdorf gestolpert bin. Das waren Zeiten, mon dieu.
Als Kind, ich war damals, als der Terz Ende 1985 los ging, gerade mal knapp 10 Jahre alt, plötzlich fielen Begriffe wie Becquerel, Plutonium, Strontium, Wiederaufbereitung, Bürgerinitiative,Atommüll etc. und in meine sonst so friedlich dahinplätschernde Kindheit kam auf einmal Bewegung. Die Sonntage wurden grundsätzlich auf einem riesigen Waldgelände verbracht, das immer lichter wurde, und je lichter der Wald, desto mehr Menschen tauchten auf. Der Widerstand, eine Wiederaufbereitungsanlage vor die Haustür gesetzt zu bekommen trieb Tausende damals regelmäßig zum WAA-Gelände, und unter anderem auch meine Eltern und damit auch mich.
Ich kann die ganze Chose nur aus den Augen des Kindes beschreiben, das ich damals war und ich fand diesen ganzen Trubel, diesen gemeinsamen Widerstand gegen eine wohl ziemlich fiese und gefährliche Sache, unheimlich aufregend.

Erst passierte ja nicht viel, die ersten paar Monate, aber um Ostern 86 rum wurden die Schlachten am Bauzaun immer erbitterter, und was ich im Nachhinein echt gut fand, meine Eltern mittendrin. Hüttendorf mit Gerhard Polt und den Biermösl Blosn, mir damals ziemlich schnurz, aber ein Hüttendorf, huh, das ist ein multipliziertes Baumhaus, ein Paradies für ein 10-jähriges Kind.
Sich endlich mal im Dreck suhlen, mit dem Hammer stundenlang an einen großen Metallzaun klopfen, Äste vom Straßenrand auf die Zufahrtstraßen ziehen, um Polizeiautos am Passieren zu hindern, ohne von den Eltern einen Anschiß zu kassieren, all das war plötzlich erlaubt. Dazu die brodelnde Stimmung, fauchender Widerstand Tausender gegen Wasserwerfer der Polizei, als dann plötzlich CS-Gas mituntergemischt wurde, wurde die Sache dann weniger lustig, aber der Widerstand umso größer. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt damals Angst, sicher im Pulk der störrischen Demonstranten mitlaufend, Steinewerfen am "Chaoteneck", das war besser als jedes Monopoly. Als sich jedoch am 28.4.86 der GAU in Tschernobyl ereignete, war dann endgültig, ja, man kann es schon fast Krieg nennen, was sich dort auf dem Gelände abgespielt hat.
Seitdem hat sich die Gegend um Wackersdorf wirklich gespalten, Familien lagen sich in den Haaren, Befürworter contra Gegner, doch, da war einiges Los in dem sonst so verschlafenen Eckchen der Oberpfalz.

Das ANTI-WAHNSINNSFESTIVAL mit mehr als 100.000 Besuchern, schnieke, und eine Freundin aus der Parallelklasse und ich mittendrin, doch, wir hatten Spass. Als Kind siehst Du ja die Gefahren der Atomenergie nicht, nimmst nur die Stimmungen auf.
Und ja, es waren bis zum plötzlichen Aus für die WAA 1989 wirklich saumäßig aufregende Jahre und Wochenenden. Ich hatte auf einer Demo 1986 in München meinen ersten Kontakt mit einer wunderschönen Gruftiedame, die meinen Stil seitdem geprägt hat. Haha, könnt Euch das begeisterte Gesicht meiner Mutter vorstellen, als ich voller Verzücken diese Lily Munster Münchens angeschaut habe und meinte: "So will ich später auch mal aussehen".
Doch, diese Zeit hat mir viel mitgegeben. Bewunderung für meine Eltern wegen ihres erbitterten Widerstandes, den Rückhalt meines Vaters, als ich von einem Polizisten einen Anschiss kassiert habe, weil ich Äste in den Weg gezogen habe. Die Erkenntnis, dass man nur stur genug sein muss, wenn man etwas durchsetzen will und dass man sehr wohl als "kleiner Mann" etwas erreichen kann, wenn man beharrlich sein Ziel verfolgt.
All das und noch viel mehr.
Hab mal ein paar Links zusammengetragen, wie das damals aussah, damit ihr Euch ein Bild davon machen könnt.
http://www.amberger-bi.de/widerst1.htm

http://www.br-online.de/bayern/einst-und-jetzt/stoerfall-wackersdorf-DID1209371998541/wackersdorf-waa-widerstand-ID671202493777308266.xml

http://www.fotocommunity.de/search?q=WAA+Wackersdorf&index=fotos&options=YToxOntzOjc6ImNoYW5uZWwiO3M6MToiMCI7fQ&pos=1&display=16335093

http://www.fotocommunity.de/search?q=WAA+Wackersdorf&index=fotos&display=16116060

Ja, so war das damals.
Sture Grüße,

die Widerstandsgöre

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen